Wie ich vor 12 Jahren unsere Prämiensysteme einführte, diese kontinuierlich verbesserte und uns am Ende davon befreit habe

Seit ich in unserer Firma in die Verantwortung für Mitarbeiter gekommen bin, habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, wie man über Prämien- und Bonussysteme die Mitarbeiter motivieren und für eine faire Entlohnung sorgen könnte. In diesem Artikel erzähle ich, wie ich ein ausgeklügeltes Gehaltssystem einführte, dieses über Jahre weiter entwickelte und es schlussendlich wieder komplett abgeschafft habe. Rückblickend verstehe ich, dass alle Änderungen, die ich vorgenommen habe die Abschaffung dieser Systeme zur Konsequenz hatten, ohne dass ich es aber zum jeweiligen Zeitpunkt erkennen konnte. Heute weiß ich:

  • Ziel- und Bonussysteme sind nicht fair
  • Ziel- und Bonussysteme motivieren nicht
  • Ziel- und Bonussysteme versagen systembedingt

Lasst mich erklären wie ich zu dieser Einschätzung komme, indem ich unsere Entwicklungsgeschichte erzähle, die Anfang der Nuller-Jahre begann.

Der Anfang – System 1

Als ich begann, gab es bereits ein simples Prämiensystem. Wir hatten bei uns die Rolle der Kundenbetreuer, deren Aufgabe in erster Linie darin bestand, unsere Software bei den Kunden zu installieren und zu schulen. Vom jeweiligen Umsatz erhielt jeder dieser Mitarbeiter einen prozentualen Anteil (5%). Das Problem war, dass diese Prämien unabhängig davon, ob die Leistung erfolgreich und der Kunde zufrieden war und auch unabhängig davon, ob die Rechnung vom Kunden bezahlt wurde.  

Optimierung zu System 2

Meine erste Optimierung bestand dann also darin, dieses Prämiensystem abzuschaffen und ein  wirkliches Bonussystem und Mitarbeitergespräche einzuführen. Neben einem Leitfaden enthielten diese Gespräche auch einen Kriterienkatalog, der mit einem Schulnotensystem bewertet wurde (Selbstbewertung und Fremdbewertung). Mit der Kombination aus Durchschnittsnote und vereinbartem Zielbonus hat sich dann errechnet, welchen Betrag der Mitarbeiter zusätzlich bekam. Auch wenn die Bewertung der Kriterien erstaunlich gut funktioniert hat, war es dennoch nicht zufriedenstellend, da die gesamte Auswertung keinerlei Zielvorgabe beinhaltete, sondern immer nur die zurückliegenden Leistungen bewertet wurden.

Optimierung zu System 3

Das musste natürlich korrigiert werden. Wir führten daher im nächsten Schritt individuelle und immerhin messbare Ziele ein, die gemeinsam verabschiedet und dann im jeweiligen Zeitraum bewertet wurden. Das fühlte sich im ersten Moment zwar deutlich besser und fairer an, aber diese Änderung hatte zwei deutlich negative Effekte. Zum einen war jeder Mitarbeiter immer mehr darauf bedacht, seine eigenen Ziele zu verfolgen, anstatt einem gemeinsamen Ziel zu dienen und zum zweiten gab es bei der Bewertung der Messung natürlich Diskussionen und immer irgendwelche Gründe, warum der Mitarbeiter ausgerechnet dieses Mal nicht in der Lage war seine Ziele zu erreichen (in der Regel war immer „der Andere“ schuld).

Im Laufe der Zeit kristallisierte sich als weiteres Problem heraus, dass die Erreichung der persönlichen Ziele und die sonstige Leistung des Mitarbeiters durchaus im Widerspruch standen. Beispielsweise erhielt ein Mitarbeiter aufgrund seiner Ziele zwar einen Bonus, leistete jedoch andererseits zu wenig Beitrag zu anderen Themengebieten des Unternehmens, so dass es im Extremfall sogar sein konnte, dass die Zahlung des Bonus überhaupt nicht zu rechtfertigen gewesen wäre.

Ziel- und Bonussysteme sind nicht fair:

Vielen Unternehmern und Entscheidungsträgern ist es sehr wichtig Leistung fair zu bezahlen und auch Leistungsunterschiede zu honorieren. Das ist grundsätzlich ein respektables Ziel – nur leider kann dieses nicht durch Ziel- oder Bonussysteme erreicht werden. Fairness ist kein objektives Kriterium, sondern immer etwas Subjektives, das durch Vergleich, Bewertung und Interpretation entsteht. Arbeitszusammenhänge und unternehmerischer Erfolg sind komplex. Ziel- und Bonussysteme sind kompliziert. Niels Pfläging führt die Unterscheidung zwischen Komplexem und Kompliziertem in seinen Vorträgen und Büchern sehr eingänglich aus. Folgen wir ihm, wird deutlich, dass wir eine komplexe Tatsache wie den unternehmerischen Erfolg mit etwas Kompliziertem wie einem Bonussystem erschlagen wollen – und damit zwangsläufig scheitern müssen. Das Gefühl einer fairen Bezahlung müssen wir tatsächlich als etwas Komplexes durch Kommunikation bearbeiten. Das heißt, wir müssen mit unseren Mitarbeitern im Dialog bleiben und aushandeln, was ein faires Gehalt für beide Seiten heißt. Menschen sind soziale Wesen, wir dürfen also nicht davon ausgehen, dass jeder nur nach seinem unmittelbaren Vorteil strebt und sich zuerst die eigenen Taschen füllt. Wenn wir transparent machen wie erfolgreich unser Unternehmen ist, dann haben auch die Mitarbeiter ein Interesse daran, dass Rücklagen aufgebaut und Investitionen getätigt werden, dass Unternehmer und Eigentümer für ihr Risiko entlohnt und dass Normalleister mitgetragen werden.

Optimierung zu System 4

Dieses Problem konnte ich durch zwei neue Maßnahmen angehen und beseitigen. Zum ersten definierten wir anstatt eines Bonus nun variable Gehälter, die aus einem Fixum (wählbar zwischen 80% und 90%) und einem variablen Anteil bestanden. Der variable Anteil wurde gemäß der gesamten Zielerreichung ausgezahlt und konnte sich zwischen 0 und dem doppelten Betrag der Vereinbarung erreichen (waren also z. B. 20% variabler Anteil vereinbart, konnte dieser Anteil maximal verdoppelt werden, so dass insgesamt eine Auszahlung von 120% erreicht werden konnte). Die Zielvorgabe wurde rollenspezifisch definiert, so waren es bei Consultants und Trainern die Anzahl der verkauften Tage sowie bei den Vertriebsmitarbeitern das jeweilige Umsatzziel. Durch die Berechnung in Prozenten wurden dann also bei z. B. 75% Zielerreichung auch 75% des variablen Anteils ausgezahlt (eine Auszahlung erfolgte also ab dem ersten Prozent der Erreichung und nicht erst bei Überschreitung des Ziels).

Diese Methode ging eine Weile gut. Die Mitarbeiter verfolgten ihre Ziele und hatten auch Erfolge, aber nach einer Weile habe ich erneut verschiedene Punkte identifiziert, die mir (und auch manchen Mitarbeitern) nicht gefallen haben. Der erste war die Tatsache, dass es Mitarbeiter im Unternehmen gab, die neidisch auf die anderen waren, da für ihre Rolle ein solches System gar nicht möglich war (weil sie ja beispielsweise Aufgaben hatten, die unseren Kunden nicht in Rechnung gestellt werden konnten, somit also keinen direkten Umsatz erzeugten). Gleichzeitig leisteten sie für den jeweiligen Umsatz aber auch ihren Beitrag.

Zum zweiten gab es erste Fälle von ausschließlich selbstzentrierter Vorgehensweise, worunter die Teamarbeit erheblich gelitten hat. In unserem Geschäft sind Erfolge in den meisten Fällen immer nur gemeinsam zu erzielen und ich erinnere mich gut an eine Situation als ein Mitarbeiter einen Kollegen um Unterstützung bei einem Auftrag bat, aber keine Hilfe bekam, weil dieser sich lieber um sein eigenes Ziel kümmern wollte. Diesen Auftrag haben wir deswegen verloren (und die Geschichte kam erst nach der Niederlage heraus). Neben solchen konkreten Ereignissen hatte die Methode außerdem noch zur Folge, dass bei nahezu jedem Auftrag die Diskussion begann, wer nun wie viel Anteil daran hatte und wie viel Umsatz er auf sein persönliches Ziel verbuchen konnte.

Ein dritter Punkt schließlich war jedoch völlig neuer Natur und hat mich dann das erste Mal so richtig stutzig gemacht (im Sinne der Motivation wie weiter oben erwähnt). Warum gab es Mitarbeiter, die überhaupt keinen Ehrgeiz entwickelten und in vielen Quartalen ihr Ziel nicht erreichten, die dadurch entstehenden finanziellen Einbußen dennoch überhaupt nicht relevant für sie waren?

Ziel- und Bonussysteme motivieren nicht:

Seit es Management gibt, glauben wir an die Kraft extrinsischer Motivatoren, allen voran Geld. Dabei zeigen uns zahlreiche Studien, dass Motivation etwas ist, dass intrinsisch entstehen muss und Geld maximal ein Hygienefaktor ist. Das heißt Bezahlung kann zu Demotivation führen, wenn sie per se zu niedrig ist oder als unfair empfunden wird – nicht aber zu Motivation im konstruktiven Sinne. Für Motivation im positiven Sinne sorgen gemeinsame Erfolge, das Gefühl einen Beitrag leisten zu können und die Selbstwirksamkeit. Mehr dazu aber in einem anderen Beitrag, den wir bald schreiben sollten.

Optimierung zu System 5

Unser System musste also weiter optimiert werden. Für das erste und zweite Thema fand ich schnell eine Lösung. Wir gliederten den Bonus in zwei Bestandteile, einen persönlichen Bonus und eine Teamprämie. Der persönliche Bonus blieb wie zuvor, aber der Teambonus wurde auf Basis des Erfolgs der Teams (also z. B. Vertrieb oder Consultants) als Mittelwert über alle Teammitglieder berechnet und dann auch an die nicht abrechenbaren Mitarbeiter ausbezahlt.

Das dritte Thema war deutlich komplizierter. Zum einen gab es Mitarbeiter, denen es wichtiger war, anderen zu helfen, wodurch sie sich selbst und ihre eigenen Ziele vernachlässigten (was ja an sich eine tolle und erstrebenswerte Sache ist, aber tatsächlich dann finanzielle Einbußen für diese Personen zur Folge hatte). Zum anderen gab es allerdings auch Fälle, wo es z. B. durch die Zielvorgabe mit „verkauften Tagen“ durchaus zu falschen Sichtweisen kam, dass es immer nur um „ganze“ Tage ging, anstatt auch kleinere Einheiten abzurechnen. Zum Dritten musste ich eine Lösung finden, wie ich die Konflikte zwischen den Mitarbeitern so klären konnte, dass die Ermittlung der Werte immer eindeutig, transparent und fair war.

Ziel- und Bonussysteme versagen systembedingt

Ziel- und Bonussysteme sind immer gut gemeint, sie können aber niemals funktionieren. Das Definieren von Zielen und deren Kopplung an das Gehalt würde nur dann funktionieren, wenn die Zeit stehen bleiben würde oder ein Vorgesetzter in die Zukunft blicken könnte. Es ist schlichtweg Glück oder unglaublicher Zufall, wenn heute vereinbarte Ziele auch in einem Jahr noch identisch sind mit dem besten Beitrag, den ein Mitarbeiter für ein Unternehmen leisten kann. Wenn wir in einer sich rasant ändernden Welt leben, Komplexität unseren Alltag bestimmt und Zusammenarbeit zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden ist, dann sind individuelle Zielvereinbarungen geradezu paradox, denn sie schaffen falsche Anreize. Sie sagen dem Mitarbeiter nichts anderes als: Erfülle Deine Ziele! Wohingegen sie eigentlich sagen sollten: Tue alles dafür, dass wir erfolgreich sind.

Optimierung zu System 6

Doch auch bei diesen Fällen war ich kreativ und änderte die Berechnung des Teamerfolgs. Statt des prozentualen Mittelwerts der Einzelziele definierten wir ein Teamziel, so dass für die Ermittlung der Prämien nur noch der gemeinsame Erfolg zählte. Für die verkauften Zeiten wechselten wir von Tagen auf Stunden, so dass das „Hinarbeiten“ auf das Gesamtziel viel leichter verständlich war und auch die Umsatzvorgabe im Vertrieb wurde auf einen gemeinsamen Zielwert geändert.

Waren wir also endlich am Ziel angelangt? Leider nein. Wir hatten jetzt in Bezug auf die beiden Teams Vertrieb und Projekte zwar ein gemeinsames Ziel, aber für das gesamte Unternehmen funktionierte das immer noch nicht. In einem Jahr hatten wir beispielsweise im ersten Quartal ein extrem gutes Ergebnis, was für die Mitarbeiter einen großen Bons bedeutete. In den folgenden Quartalen waren die Ergebnisse jedoch so schlecht, dass wir am Ende des Jahres gerade so eine schwarze Null erreichen konnten. Eine globale Betrachtung musste her. Wir bildeten also aus den prozentualen Erreichungsquoten beider Teams einen gemeinsamen Mittelwert, der für alle die richtige Berechnungsgrundlage ergeben würde.

Das war zwar rechnerisch eine gute und richtige Entscheidung, führte aber am Ende auch wieder zu Konflikten, wenn eines der beiden Teams sein Ziel übertroffen und das andere nicht erreichen konnte. Für alle gab es in einem solchen Fall also dennoch eine Prämie, aber das erfolgreiche Team fühlte sich ungerecht behandelt, da sie ja zum einen „die Kohlen aus dem Feuer“ geholt hatten, aber wegen der Minderleistung der anderen wieder bestraft wurden und weniger bekamen als sie bei Betrachtung nur ihrer eigenen Leistung bekommen hätten.

Irgendwie funktionierte das alles nicht. Je mehr wir versuchten zu regeln, desto klarer wurde uns, dass wir uns in einer Sackgasse befanden. Es war nicht so, dass unsere Systeme nicht wirksam waren, ganz im Gegenteil, sie waren höchst wirksam – doch funktionierten sie nicht. Wir setzten schlichtweg die falschen Anreize und schufen durch unser System mehr Probleme als wir damit lösten.

Die Lösung

Im Grunde schien es doch aber so einfach. Wir als Unternehmen wollen erfolgreich sein und wenn uns das gelingt, dann wollen wir selbstverständlich auch alle daran teilhaben lassen. Warum konnte ich das nicht einfach genau so sagen? Wollte nicht jeder Mitarbeiter den Erfolg des Unternehmens?  Wusste nicht jeder Mitarbeiter und jedes Team selbst am besten wie sie den Erfolg des Unternehmens steigern konnten? Doch, das wollten sie und das wussten sie!

Im Rückblick auf diese vielen Schritte und Versuche durch Änderungen an den Systemen die Fairness und Ergebnisse zu verbessern, gab es für mich dann nur noch einen Schritt, den ich gehen musste: all diese Prämiensysteme mussten weg.

Ich legte mir also die ganze Historie als logische Argumentation und Erklärung zurecht und machte den Vorschlag, alle variablen Gehälter und Prämiensysteme abzuschaffen und lediglich einen Jahresbonus für alle zu behalten, der auf Basis des EBIT berechnet wird und somit auch nur dann ausgezahlt werden kann, wenn das Unternehmen im Jahresabschluss erfolgreich war.

Ich führte mit allen Mitarbeitern ein Einzelgespräch und vereinbarte mit jedem diese Änderung. Ich war unsicher, ob das funktionieren würde, aber diese Befürchtung war unbegründet. Alle zogen mit und natürlich musste ich im Einzelfall auf konkrete Rückfragen und Befürchtungen eingehen und Lösungen finden. Konflikte gab es in diesem Rahmen jedoch keine. Ganz im Gegenteil. In diesen Gesprächen ergaben sich sogar noch weitere Erkenntnisse, die ich nicht erkannt hatte, die aber als latente Risiken durchaus weitere Probleme hätten erzeugen können.

Heute, fast ein Jahr nach der Änderung blicke ich zurück und stelle fest, dass die Menschen entspannter sind und es bereits erste Erfolge und Situationen gibt, die vorher nicht möglich gewesen wären. Da bieten die Mitarbeiter aus verschiedenen Teams offiziell Unterstützung für andere Teams an oder beispielsweise erhöhen sich die Mitarbeiter im Vertriebsteam selbst ihr Umsatzziel, weil sie die Möglichkeit sehen, mehr zum Unternehmenserfolg beitragen zu können, als ursprünglich vereinbart wurde.

Ich bin sehr froh, dass diese Reise zu Ende ist und ich nach dieser jahrelangen Odyssee durch die Vielfalt der Prämien- und Bonussysteme mit meinen Mitarbeitern eine Lösung gefunden habe, die uns allen hilft, gemeinsam an unserer Vision und unseren Zielen zu arbeiten ohne immer den Blick auf persönlichen Erfolg haben zu müssen.

Dieser Artikel wurde im Rahmen der Blogparade con CO:X veröffentlich: Alle Artikel findest du hier: Blogparade #NewPay: Was verdienen wir eigentlich?